Wer vor der Pandemie in Hamburg unterwegs war, kennt auch die Straßenkünstler: Der La Paloma - Akkordeon-Spieler an den Landungsbrücken. Die Seifenblasen-Frau, die unförmig schillernde Gewölbe in die Luft stellt. Oder die kleine Gruppe, die in unmöglichen Haltungen der Schwerkraft trotzen. Staunend versammeln sich die Beobachter.
In Hamburg sind viele öffentliche Plätze ebenerdig gestaltet, um die demokratische Haltung in die Platzgestaltung zu übersetzen. Der Rathausmarkt hat jedoch einige Stufen. Es ist schon eine Weile her, dass hier zwei junge Männer rückwärts fallend wie in Stop Motion in der Luft gehalten wurden - ohne auf dem Boden aufzuschlagen. Tag für Tag eine Illusion, die ziemlich verwirrend wirkte, so dass offene Münder fragend davor verharrten. Vielleicht ein politisches Statement, vielleicht eine Verneigung vor der Kunst?
Xu Zhen ist sicher nicht auf das Hutgeld der Straßenkünstler angewiesen. Als „Shanghaier Tausendsassa“, wie ihn die NZZ bezeichnet, spielt er längst in einer anderen Kategorie, und zwar „nicht als Künstlerperson, sondern nur noch als Label“. Er gründetet die „MadeIn Company“, hat die erste Einzelausstellung 2016 in Graz absolviert und ist Teil der Sammlungen von Tate Modern und Centre Pompidou. 2014 und 2019 konnte der kunstfertige Art Basel - Besucher seine Arbeiten bestaunen: „In just a Blink of an Eye“ verharrt eine menschliche Skulptur wie eingefroren im freien Fall. Die „living Sculpture“ scheint in der Zeit festzustehen, ist aber dennoch lebendig wie auch die anderen Performances, die Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist in den „14 Rooms“ der Art Basel 2014 kuratierten. Auch die Architektur ein Hochkaräter, von niemand geringerem als Herzog & de Meuron, die 2013 den Neubau der Messehallen mit dem „Fenster zum Himmel“ umgesetzt haben, das den öffentlichen Raum überdacht und zu einem besonderen Ort der Begegnung macht.
„14 Rooms“ zeigte polarisierende Arbeiten, etwa Marina Abramovic und Yoko Ono, Damien Hirst und Bruce Naumann. Wer kennt sie nicht? Mich persönlich hat unter allen Künstlern auf der Messe Jordan Wolfson am meisten gefordert. Zugegeben- 2014 kannte ich weder ihn noch Xu Zhen. Insbesondere Wolfson hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, denn seitdem weiß ich ziemlich genau, wie es sich im uncanny valley, dem „Gruselgraben“ Künstlicher Intelligenz, anfühlt. Es ist dort ziemlich nervenaufreibend und eine Mischung aus der Installation Ugly / Beautiful, wie die creepy „Female Figure“, einer abstoßenden, sexy KI, die einen lasziv tanzend mit ihren irren Texten und wachen Augen verfolgt und jedem Blick standhält.
Wolfson ist Jahrgang 1988, ein Künstler, der intuitiv in die Welt der Werbung, des Internets und der Technologie greift, um mit Video, Skulptur, Installation und Performance rätselhafte Erzählungen zu schaffen. Ehrgeizige Projekte mit eigener Ästhetik, wie in „Ugly / Beautiful“. Wem das alles gar nicht schauderhaft vorkommt, für den lohnt jetzt der Besuch auf YouTube.
Dort findet sich auch ein Video der Unlimited, dem Teil der Art Basel, welche die Großformate zeigt. „Nirvana“ von Xu Zhen ist eine Mischung aus Rauminstallation und Performance: Leere Casino Tische, die in rituelle Zeremonien von Croupiers mit farbigem Sand bestäubt werden. In der Luft das mechanische feine Geräusch, das die Mönche des Konsums produzieren und die Neugier der Menschen, wie sich Kunst wohl anfühlt. Ob man nicht doch mit einer kleinen Fingerspitze die Farbigkeit berühren darf…?
Nachlese und Credits:
- Xu Zhen: Nirvana / Art Basel 2019 Unlimited,
Video
auf YouTube
- Jordan Wolfson - Female Figure - The Artist's Studio –
Video
auf MOCAtv
- “Körperschaften”-
Artikel
in der NZZ, Minh An Szabó de Bucs am 23.11.2015:
Pics:
Hilke Ludwigs
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